Tief verschneit präsentiert
sich das alte Dorf von Saas-Grund. Auf dem Friedhof gibt der Schnee nur noch
die Spitzen der Holzkreuze frei. Gleich daneben: Kerzenlicht erleuchtet
gespenstig das Saaserstübli, das älteste Wirtshaus im Saastal. Und da hinein
huschen durch die Nacht immer mehr gut eingehüllte Gestalten.
Sagenabend ist angesagt. Das
Saaserstübli im alten Dorf ist dazu der optimale Ort. Es präsentiert sich noch
so, wie es in den 60-iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verlassen wurde.
Zusammen mit dem Kerzenlicht, der Nacht, dem Schnee und dem angrenzenden
Friedhof wird man da in alte, spannende und auch etwas unheimliche Zeiten
versetzt. Und dann kommt mein Auftritt. Ich darf alte Walser Sagen lesen und
kommentieren. Das mache ich gerne. Menschen hineinnehmen in alte Zeiten. Als es
noch kein elektrisches Licht, keinen Fernseher oder Computer gab. Hinein in das
einzigartige Ereignis dieser Abendsitze. Da, wo sie sich früher in den langen
Winterabenden getroffen haben. Und dann diese Geschichten erzählt haben. Von
den armen Seelen, die nach ihrem Tod büssen mussten. Von Gratzügen, Hexen und
unheimlichem Geschehen.
Letzten Donnerstag: Gut 40
Personen waren da, alle liessen sich hineinnehmen und waren sehr begeistert -
was mir zugegebenermassen sehr gut tat… Aber da fragte einer zum Schluss: „Was
ist denn deine Lieblingssage?“ Das brachte mich ein wenig in Verlegenheit.
Natürlich liebe ich alle Sagen, wo der Pfarrer immer Bescheid weiss und eine
Lösung bereit hat. Ich bin ja selber einer. Dann aber musste ich von der
Geschichte erzählen, die mich effektiv seit Jahren beschäftigt und einiges über
die menschliche Missgunst offenbart:
Da ging der Herrgott über Land. Traf einen Mann. Sagte
zu ihm: Wünsche dir, was du willst. Ich werde es dir schenken. Nur, denke
daran, dein Nachbar wird das Doppelte erhalten. Darauf sagte der Mann zum
Herrgott: Nimm mir ein Auge, dann hat mein Nachbar keins mehr…
Missgunst. Neid. Wie anders
wäre unsere Welt, wenn wir dem keinen Raum geben würden?
Es lohnt sich, sich mit den
Walser Sagen auseinander zu setzen. Und den Neid nicht keimen zu lassen. Klar
würde ich mich auch freuen, Sie an meinen Sagenabenden willkommen zu heissen.
Christoph Gysel,
Tourismuspfarrer, Touristiker und Autor
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen